Freiheit | | Nr. 230/23
TOP 36: Der Jahrestag des Volksaufstands am 17. Juni ist Erinnerung und Mahnung an unsere Freiheit und Demokratie
Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
versetzen wir uns gemeinsam zurück in die Zeit vor siebzig Jahren, in den Juni 1953.
Während die junge Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt ihr Wirtschaftswunder erlebte, stand die DDR vier Jahre nach ihrer Gründung bereits kurz vor dem Kollaps:
Verstaatlichung von Betrieben, Enteignungen, Planwirtschaft und landwirtschaftliche Kollektivierung mit dem Ziel, privates Unternehmertum und den selbständigen Bauernstand zu zerschlagen, führten im Frühjahr 1953 zu einer ernsthaften Wirtschafts- und Ernährungskrise.
Vor diesem Hintergrund beschloss das Zentralkomitee der SED Mitte Mai eine Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent, die für die Beschäftigten einer Lohnkürzung gleichkam.
Dem Protest der Arbeiter in der Berliner Stalinallee folgte am Mittwoch, den 17. Juni 1953 das, was als Volksaufstand in die Geschichtsbücher einging: Rund eine Million Menschen gingen auf die Straße, beteiligten sich in über 700 Städten und Ortschaften an Streiks, Demonstrationen und Protesten.
Die Aufständischen besetzten Verwaltungsgebäude, Kreis- und Bezirksleitungen der SED, stürmten Polizeistationen und befreiten aus mehreren Gefängnissen die dort einsitzenden politischen Häftlinge.
Was als Arbeitskampf begann, wurde zum politischen Protest, bei dem ein Rücktritt der Regierung, freie Wahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert wurde.
Das Überleben der kommunistischen Diktatur in der DDR konnte an diesem Tag nur durch das massive Eingreifen des sowjetischen Militärs gesichert werden, das den Aufstand blutig niederschlug.
55 Menschen wurden von den sowjetischen Soldaten und DDR-Sicherheitsorganen getötet oder von der DDR-Justiz zum Tode verurteilt.
Rund 15.000 Bürgerinnen und Bürger der DDR wurden vom SED-Regime verhaftet und tausende von ihnen wurden zu zum Teil mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Viele überlebten diese Haft nicht.
Der Volksaufstand in der DDR steht damit in einer Reihe mit dem Ungarnaufstand drei Jahre später und dem Prager Frühling 1968. Auch diese Freiheitsbestrebungen der Menschen hinter dem Eisernen Vorhang wurden von sowjetischen Panzern niedergeschlagen.
Und genau so wie damals die Panzer rollten, sind es auch heute wieder Panzer, die den Menschen in der Ukraine ihre Freiheit nehmen wollen – nicht mehr unter sowjetischer Flagge, sondern unter russischer Flagge, aber dennoch sind es die gleichen Panzer.
Meine Damen und Herren, „Freiheit ist das höchste Gut!“ – so lautet deshalb der Titel der gemeinsamen Resolution aller Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtages, die wir anlässlich des morgigen 70. Jahrestages des Volksaufstandes in der DDR beschließen wollen.
Auch wenn es den Menschen in der DDR 36 Jahre später gelungen ist, sich ihre Freiheit mit der friedlichen Revolution von 1989 selbst zu erkämpfen – worüber wir Grund haben uns jeden Tag zu freuen – so müssen wir dennoch feststellen, dass die Freiheit in der Welt an allen Ecken und Enden bedroht ist.
Im vergangenen Jahr lebten nur noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung in einer Form von Demokratie. Die Vorzüge einer vollwertigen Demokratie, so wie bei uns in Deutschland, genießen sogar nur 6,4 Prozent der Weltbevölkerung – weshalb wir unsere Demokratie umso mehr wertschätzen und beschützen sollten.
Ganz anders sieht es seit der islamischen Revolution 1979 im Iran aus. Dort ist der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung mittlerweile so groß, dass Frauen und Männer trotz aller Gefahren dafür auf die Straße gehen und sich das Ayatollah-Regime nur mit Gewalt, mit Gefängnisstrafen und Todesurteilen zu wehren weiß – genau wie seinerzeit in der DDR.
In der Ukraine haben in den vergangenen 16 Monaten hunderttausende von Ukrainerinnen und Ukrainern ihr Leben verloren oder Verletzungen davongetragen, weil sie für die Freiheit ihres Landes und gegen die russische Aggression kämpfen. Millionen sind auf der Flucht. Aber auch in Russland selbst werden die Menschen von Putins Diktatur ihrer Freiheit beraubt, werden Oppositionelle verhaftet und ein ganzes Volk wird zwangsweise in einen verbrecherischen Krieg geschickt.
Und auch am anderen Ende der Welt müssen die Menschen in Taiwan jederzeit einen Angriff auf die Souveränität ihres Landes und damit um ihre Freiheit fürchten, weil die kommunistische Diktatur in China die Wiederherstellung historischer Grenzen zum politischen Ziel erklärt hat – und damit die gleiche Politik wie Putin verfolgt.
Der Jahrestag des Volksaufstands am 17. Juni ist deshalb Erinnerung und Mahnung zugleich, dass wir unsere Freiheit und unsere Demokratie jeden Tag verteidigen müssen und nicht als selbstverständlich hinnehmen dürfen. Er ist genauso Verpflichtung, diejenigen zu unterstützen, die gegen Diktatoren und Autokraten für ihre Freiheit kämpfen.
Nehmen wir den Jahrestag zum Anlass, uns dessen bewusst zu werden und danach zu handeln.
Ich danke Ihnen.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel