| Nr. 082/15
zu TOP 8: Die Justizbeschäftigten brauchen mehr Unterstützung des Dienstherrn
Die Geiselnahme am Heiligabend in der Justizvollzugsanstalt Lübeck hat Spuren hinterlassen. Noch immer sind drei Mitarbeiter dienstunfähig; gegen die damalige Anstaltsleiterin wird inzwischen strafrechtlich ermittelt wegen des Verdachts der Strafvereitelung. Und auch strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter stehen mittlerweile im Raum. Weil es uns darum geht, aus der Geiselnahme zu lernen und entsprechende Konsequenzen auf den Weg zu bringen, hat meine Fraktion einen Antrag mit Maßnahmen formuliert, über den wir heute hier beraten.
Im Ausschuss am 7. Januar hat die Ministerin den Eindruck erweckt, alle Erkenntnisse zur Geiselnahme seien eindeutig. Und Sie hat den JVA-Bediensteten ihren Respekt ausgesprochen: „Sie hätten in vorbildlicher Weise ihren Dienst verrichtet, indem sie besonnen und mutig reagiert […] hätten. Das gelte es, hier noch einmal ausdrücklich festzuhalten. […]“ [Auszug Ausschuss-Protokoll]. Auch der Anstaltsleitung, Frau Mauruschat, bescheinigte sie damals professionelles Handeln: Sie habe alles richtig gemacht.
Eine Motivation von Frau Mauruschat, die Ermittlungsbehörden bewusst nicht einzuschalten, schloss Frau Spoorendonk kategorisch aus. An diesen Worten, Frau Ministerin werden wir Sie weiter messen.
Den Eindruck, den Sie in der Öffentlichkeit aufrecht erhalten wollen, die Geiselnahme sei regelkonform und ohne weitere Vorkommnisse beendet worden, deckt sich nicht mit dem, was mittlerweile über die Medien das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat.
Wenn jetzt die Staatsanwaltschaft auch gegen einen Mitarbeiter der JVA ermittelt, weil er einen bereits überwältigten Geiselnehmer verletzt haben soll.
Dann macht es doch umso mehr deutlich, wie wichtig eine sofortige Beweisaufnahme am Tatort gewesen wäre. Wenn nun tatsächlich auch kein „herbeilaufender vierter Bedienstete“, sondern ein anderer Häftling den JVA-Mitarbeiter befreit habe – dann war auch der Vorfall am Heiligabend noch dramatischer als der Öffentlichkeit bislang bekannt war. Diese Informationspolitik der Justizministerin zeigt, wie berechtigt es war, dass wir uns im Landtag so intensiv mit den Abläufen und den Fehlern befasst haben, die im Zusammenhang mit der Geiselnahme gemacht worden sind.
Eines lässt sich – auch schon vor Bekanntwerden der jüngsten Details - definitiv nicht vom Tisch wischen: Alle von uns erhobenen Vorwürfe waren richtig. Und es war richtig, sich durch die Vorhaltungen der Regierungskoalition nicht beirren zu lassen. Und es zeigt, wie berechtigt unser Antrag auf Akteneinsicht ist. Wir wollen endlich alle Karten auf dem Tisch haben.
Es ist doch unvorstellbar, dass zwischen dem 24. Dezember und dem 7. Januar – dem Tag der Ausschusssitzung – dem Justizministerium nicht bekannt gewesen sein soll, dass ein Geiselnehmer schwer verletzt war und es angebracht gewesen wäre, alle nötigen Spuren zu sichern. Die Frage drängt sich darum doch auf: Welche Erkenntnisse besaß die Justizministerin im Zeitraum zwischen Heiligabend und der Ausschusssitzung? Genau darauf zielt unsere Akteneinsicht ab!
Der Vorfall am Heiligabend war schlimm . Und er zeigt, wie wichtig es ist, die Mitarbeiter – vom Allgemeinen Vollzugsdienst bis zur Anstaltsleitung - noch besser auf eine solche Situation vorzubereiten. Nicht nur in Bezug auf die JVA in Lübeck, sondern mit Blick auf alle Justizvollzugsanstalten in Schleswig-Holstein und allen Mitarbeitern, die kritischen Situationen ausgesetzt sind. Die Landesregierung darf die Justizvollzugsbeamten nicht länger im Regen stehen lassen. Die Vorkommnisse in Lübeck haben gezeigt, wie notwendig es ist, diese Debatte zu führen.
Und in diese Debatte gehört auch die Frage, ob eine weitere Liberalisierung des Strafvollzugs – wie ihn die Justizministerin vor Augen hat – der richtige Weg ist. Sicherheit und Resozialisierung dürfen keinesfalls aus dem Gleichgewicht geraten!
Ich hoffe, Frau Ministerin, dass Sie die Sorgen der Justizvollzugsbeamten ernst nehmen! Diese haben sich ja bereits besorgt zu Wort gemeldet und moniert, die Ministerin würde „einen liberalen Strafvollzug auf Kosten der Sicherheit der Bediensteten“ forcieren.
Angesichts der Veränderungen, die Sie im Strafvollzug planen, ist diese Sorge berechtigt.
Wenn Sie, Frau Ministerin, nachher hier an diesem Rednerpult stehen, dann erwarte ich – auch mit Blick auf die Justizvollzugsbeamten – eine Antwort von Ihnen, was Sie als Ministerin ganz konkret aus der Geiselnahme in Lübeck gelernt haben. Und ich erwarte von Ihnen, dass Sie sagen, welche fachlichen Konsequenzen Sie daraus ziehen. Schließlich haben Sie Ihren Entwurf für die Reform des Landesstrafvollzugsgesetzes noch vor der Geiselnahme in der Lübecker JVA verfasst.
Und diesen Gesetzentwurf wollen Sie ja noch in diesem Frühjahr in den Landtag einbringen. Auch die Justizbeamten interessiert, wie es jetzt weiter geht. Die Neuregelungen, die Sie bislang planen, sind ein rosarotes Wunschbild von Strafvollzug. Wie Sie dieses Wunschbild mit der Realität in Einklang bringen wollen, dazu schweigen Sie. Die Neuregelungen schaffen vor allem eines: zusätzliche Sicherheitsrisiken. Und Sie verabschieden sich von einem Musterentwurf von 10 Bundesländern, an dem Schleswig-Holstein beteiligt war. Um jetzt einen Alleingang zu wählen!
Ins Gesetz gegossene Idealvorstellungen, mit denen die Justizvollzugsanstalten überfordert werden, werden am Ende auch keinen positiven Einfluss auf die Resozialisierung haben. Das Gegenteil ist der Fall! Was wir brauchen, sind Veränderungen im Strafvollzug, die die Wirklichkeit im Blick haben. Und insbesondere die Sicherheit der Gefangenen selbst, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit muss ein Leitgedanke gesetzlicher Regelungen sein. Ihre Sicherheit muss an oberster Stelle stehen. Diese Angelegenheit ist sehr wohl zeitkritisch, Herr Albig! Die Sicherheitsfragen lassen sich nicht auf die lange Bank schieben!
Eines ist in den vergangenen Wochen ebenfalls deutlich geworden: Die Justizbeschäftigten brauchen mehr Unterstützung ihres Dienstherren. Es hat mich darum nicht nur erschüttert, dass der Ministerpräsident von der Geiselnahme erst aus der Zeitung erfahren hat. Noch mehr erschüttert hat mich, dass die Justizvollzugsbeamten auch fünf Wochen nach der Geiselnahme noch kein Hilfsangebot erhalten hatten. Wer Opfer einer solchen Gewalttat wird, der muss sofort professionelle posttraumatische Betreuung in Anspruch nehmen können.
Und wenn es im Dienst passiert, dann ist der oberste Dienstherr dafür verantwortlich, dass ein entsprechendes Angebot gemacht wird.
Sie haben allerdings damit nur die Unfähigkeit Ihrer Justizministerin entlarvt. Der sie im gleichen Atemzug bescheinigten, wie professionell sie diesen Vorfall abarbeite.
Herr Albig, mit Ihrer Aussage im Ausschuss – sie gingen davon aus, sich nicht kümmern zu müssen, sollte ein Ministerpräsident eigentlich Recht haben. Wenn Sie selbst Justizvollzugsbeamte mit Straßenschildern vergleichen, um die sie sich nicht kümmern müssen, dann macht dies nur deutlich, mit welchem Menschenbild SPD, Grüne und SSW dieses Land regieren.
Abgesehen von dem konkreten Vorfall hat diese Geiselnahme auch Versäumnisse aufgedeckt, die genereller Natur sind. Das haben Gesprächen mit Mitarbeitern der JVA-Lübeck, aber auch aus anderen Justizvollzugseinrichtungen deutlich gemacht.
Justizvollzugsanstalten sind Orte, an denen Menschen gegen ihren Willen ihrer Freiheit beraubt sind. Dort leben Menschen auf engem Raum, die zu einem Teil ein erhebliches Gewaltpotential besitzen. Frustration und Wut sind an der Tagesordnung.
Die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Kollegin Barbara Ostmeier hat uns deutlich vor Augen geführt: Gewalt in Gefängnissen ist keine Ausnahme. Drogen und Alkoholmissbrauch – auch innerhalb der Hofmauern – führen zu einem erheblich degenerierten Sozialverhalten.
Die Gefahr, Opfer von Angriffen zu werden, ist für die Beschäftigten, aber auch für Gefangene, allgegenwärtig. Und sie stellt an die Arbeit im Justizvollzug damit hohe psychische und physische Anforderungen.
Die Schaffung eines gewaltfreien Klimas in den JVAs ist für den Allgemeinen Vollzugsdienst und Anstaltungsleitungen eine Herkulesaufgabe.
Wenn Mitarbeiter aus dem Vollzug um Hilfe rufen, wenn sie davon sprechen, dass sie Angst haben, dann stimmt etwas nicht. Das Land als Dienstherr hat eine Fürsorgepflicht. Und deshalb muss die Landesregierung und müssen wir als Parlament diese Hilferufe ernst nehmen.
Vollzugsbedienstete müssen besser auf kritische Situationen vorbereitet werden! Wenn Mitarbeiter davon sprechen, dass sie Angst haben, dann fühlen sie sich hierauf nicht vorbereitet. Regelmäßige psychologische Schulungen sind deshalb ebenso unerlässlich, wie das Training in körperlicher Verteidigung. Nicht nur der Leib, auch die Seele muss vorbereitet sein.
Und hierzu gehört auch das Wissen und die Akzeptanz um mögliche psychische Folgen.
Wer weiß, dass Traumata und Stressstörungen Folgen einer kritischen, vielleicht sogar lebensbedrohenden Situation sein können, der ist einer professionellen Betreuung nach einem Ernstfall viel leichter zugänglich.
Eine Betreuung hilft nur dann, wenn sich der Betroffene auch darauf einlässt. Darum müssen zunächst Akzeptanz geschaffen und Ängste abgebaut werden.
Eine Behandlung wiederum muss im Nachgang unmittelbar eingeleitet werden können.
Und auch hier brauchen wir Handlungsanweisungen, die Betroffenen, Kollegen und Vorgesetzten helfen, schnell die erforderlichen Schritte einzuleiten. Es reicht nicht, dem Betroffenen ein Telefonbuch mit den Nummern von Psychologen in die Hand zu drücken.
Es braucht Mechanismen, die lückenlos ineinander greifen.
Das ist das Ziel dieses Antrages.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel