| Nr. 412/07

zu TOP 19: Viele wichtige Fragen bleiben leider offen

Sperrfrist: Redebeginn
Es gilt das gesprochene Wort

Unsere Große Anfrage zum „Religionsunterricht an den Schulen in Schleswig-Holstein“ ist eine „Neuauflage“ der Großen Anfrage aus dem Jahre 2003 von unserem damaligen Kollegen Jost de Jager.

Gemeinsam haben die bildungspolitische Sprecherin Susanne Herold und ich diese Anfrage am 19. Juni 2007 auf den Weg gebracht. Dabei ist der ursprüngliche Fragenkatalog überarbeitet, aktualisiert und ergänzt worden – letzteres gilt insbesondere für die Fragenkomplexe zur Unterrichtssituation, zur Lehrerbildung und zum Islamunterricht.

Die Große Anfrage 2007 beinhaltet folgende Punkte:

1. Situation der Fächer evangelische und katholische Religion an allgemein bildenden Schulen
2. Lehrerbildung
3. Lehrerversorgung
4. Lehrpläne
5. Religionsunterricht an Beruflichen Schulen
6. Religionsunterricht an staatlich anerkennten Ersatzschulen
7. Islamunterricht
8. Staatskirchenrecht

Vielleicht haben sich einige von Ihnen gefragt: Wieso schon wieder das Thema „Religionsunterricht“, wieso diese Neuauflage? – Und das ausgerechnet bei einem Fach, das wir alle aus unserem Schulalltag noch als „klassisches“ Nebenfach – neben Musik, Kunst und Sport – erinnern. Es sind die Fächer, die als erste ausfielen, wenn es mal knapp wurde – mit Lehrern und mit Zeit!

Daran hat sich wie oft beklagt wird bis heute nicht viel geändert! Und das ist schlecht!

Religion – aber auch Musik, Kunst und Sport dürfen kein Schattendasein führen. Sie sind Grundlagenfächer zur Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsfindung von Kindern und Jugendlichen.

Ich will das im Folgenden begründen und die grundsätzliche Bedeutung des Religionsunterrichtes noch einmal bewusst machen.
Mein Anliegen und Ziel ist dabei die Stärkung des Religionsunterrichtes an den Schulen in Schleswig-Holstein. Die Große Anfrage und die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema, soll dieses Anliegen unterstützen.

Im August 2006 hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 10 Thesen zum Religionsunterricht veröffentlicht.

Im Vorwort schreibt der Vorsitzende Bischof Dr. Wolfgang Huber – ich zitiere: „Religion ist ein Großthema des 21. Jahrhunderts. Die Vorstellung, dass religiöse Fragen an Bedeutung verlieren und deshalb auch an der Schule unwichtig werden, hat sich als unzutreffend erwiesen. Der Gedanke, dass gesellschaftliche Modernisierung automatisch eine Säkularisierung der Gesellschaft und damit ein Verschwinden religiöser Fragen zur Folge habe, führt in die Irre. Religion ist und bleibt vielmehr eine wichtige Dimension menschlichen Lebens und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dementsprechend wächst die Bedeutung des Religionsunterrichts an den Schulen.“ Zitat Ende.

Der Religionsunterricht bietet eine Plattform für Wissensvermittlung und Diskussion über die eigene Religion, über andere Religionen und Weltanschauungen, über die eigenen Wurzeln im christlichen Abendland, wie über das Woher und das Wohin ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf der Suche sind nach ihrem Platz in der Mitte unserer Gesellschaft.

Kulturelle und religiöse Vielfalt machen das Leben von Kindern und Jugendlichen komplizierter: Gewohntes verliert seine lebensgestaltende Funktion. Eigene religiöse Gewohnheiten werden weniger als früher in Familien gelebt und verlieren ihre Prägekraft. Bei ihrer Identitätsentwicklung – gerade im Blick auf Religion und Glaube – werden junge Menschen zunehmend alleine gelassen.

Weil dafür heute die Familie als Lernort oft ausfällt, gewinnt Religionsunterricht zunehmend an Bedeutung.

Er soll Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, Orientierungswissen zu erwerben: im Blick auf Religionen, Religionsvielfalt und deren Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung. Und er befähigt junge Menschen zum Dialog zwischen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen.

Religionsunterricht gibt Hilfestellung für jeden Einzelnen bei der Entwicklung und Ausgestaltung eines eigenen Wertefundaments. „[Und] er ist“ – so Bischof Dr. Huber – „ein unentbehrlicher Beitrag dazu, dass Schülerinnen und Schüler von ihrer Religionsfreiheit einen eigenständigen Gebrauch machen können.“

Lange Zeit wurde Religion nur noch als Privatsache begriffen. Spätestens mit dem 11. September 2001 wurde die Relevanz von Religion für das gesellschaftliche Leben und für weltweite Prozesse wieder erkannt: Mit religiösen Überzeugungen werden politische Ziele gerechtfertigt; Religionen begründen Konflikte in Gesellschaften; im Namen von Religionen wird Gewalt und Terror ausgeübt. Aber ebenso gilt: Wo religiöse Traditionen gelebt werden – wächst Frieden, Gerechtigkeit und menschliches Miteinander.
Zusammenfassen kann man sagen: Ohne Religionenfriede ist kein gesellschaftlicher Frieden denkbar.

All dies sind Punkte, die in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. An Bedeutung gewinnen werden – auch angesichts der Auswirkungen des demographischen Wandels. In dessen Folge werden noch sehr viel mehr Ausländerinnen und Ausländer nach Deutschland kommen und hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Und sie werden ihre Religion hier leben wollen – noch stärker als wir es schon heute kennen.

Hierin liegt für einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht – der sich aber zugleich als modern, aufgeklärt und weltoffen versteht – eine zentrale Aufgabe mit größter Verantwortung.

Wenn wir all diese Aussagen und Bewertungen ernst nehmen, dann sollten wir alle in gemeinsamer Verantwortung für den richtigen Stellenwert dieses Faches sorgen. Und dann wiederhole ich noch einmal:

- Religionsunterricht darf kein Nebenfach bleiben.

- Religionsunterricht ist ein Grundlagenfach zur Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsfindung von Kindern und Jugendlichen.

Ich könnte mir vorstellen, dass es bis hierher eine relativ breite Übereinstimmung in dieser Bewertung gibt.

Jetzt aber kommen wir zur „Lebenswirklichkeit“ des Religionsunterrichtes in Schleswig-Holstein.

Wie schon 2003 gab es auch in 2006 und 2007 Hinweise, die dazu geführt haben, diese Große Anfrage erneut zu stellen:
- Es wird zu wenig Religionsunterricht erteilt.

- Es gibt zu wenig fachlich voll ausgebildete
Religionslehrer.

- Die Lehrstuhlkapazitäten reichen nicht aus.

- Man macht sich Sorgen, weil gut ausgebildeter Nachwuchs fehlt – und das angesichts der bekannten Pensionierungswelle, die bevorsteht.

Was ist dran an gehörten Vorwürfen und Sorgen?

Unsere Große Anfrage sollte Aufklärung bringen, Daten und Fakten liefern. Die Antwort liegt vor.
Leider muss ich feststellen: Zu viele Fragen sind offen geblieben und neue Fragen stellen sich.

Auf wichtige Fragen gibt es – wie schon in 2003 – wieder keine Antwort!
Über die Frage 3 wollten wir insbesondere endlich Aufklärung darüber erhalten, wie viele Wochenstunden Religionsunterricht nach den bisher geltenden Stundentafeln vorgesehen sind und wie viele davon tatsächlich erteilt werden. Dahinter steht natürlich die Frage, ob das Soll erfüllt wird oder ob es Defizite gibt.

Ihre Antwort lautet in der Vorbemerkung, dass in der jährlichen Schulstatistik fächerbezogene Daten nicht erhoben werden, und dass die rückwirkende Erhebung einen sehr großen Verwaltungsaufwand für die Schulen bedeuten würde, der die Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags stark beeinträchtigt; das Ergebnis einer solchen Erhebung bliebe lückenhaft.
Aus diesem Grund hat die Landesregierung auf die Abfrage der 1.100 Schulen verzichtet.

Ich muss Ihnen leider sagen, Frau Ministerin Erdsiek-Rave, dass ich diesen „Umgang“ mit unserer Frage – dieses Umgehen einer klaren Antwort nicht verstehe und auch nicht akzeptieren kann. Der wiederholte Hinweis auf den großen Verwaltungsaufwand ist ein Totschlagsargument mit dem die Erhebung wichtiger Daten verhindert wird. Und das in Zeiten von modernen Computerprogrammen an den Schulen.

Seit Jahren bitten die Nordelbische und die katholische Kirche, dass Ihr Haus Erhebungen zur Erteilung des evangelischen und katholischen Religionsunterrichtes an den einzelnen Schulen machen. Bis heute hin vergeblich. Inzwischen hat die Nordelbische Kirche zusammen mit dem Religionslehrerverband eigene Untersuchungen zur Situation des Religionsunterrichtes in Schleswig-Holstein durchgeführt. Die Ergebnisse werden zur Zeit ausgewertet. Erste Hinweise lassen befürchten, dass an vielen Schulen der Religionsunterricht nicht in durch die Stundentafel festgelegtem Umfang erteilt worden ist.

Aus der Vielzahl kritischer Anmerkungen möchte ich nur noch einige wenige nennen:

Das Ministerium erklärt, dass keine fachbezogene Lehrerbedarfsprognose erstellt wird. In der Antwort von Frage 25 wird jedoch erklärt, es sei von einer Bedarfsdeckung für die Unterrichtsversorgung auszugehen. Wodurch ist diese Aussage begründet, wenn keine Zahlen über tatsächliche Bedarfe vorliegen? Es fehlt jegliche begründete Auskunft über den tatsächlichen Bedarf an Religionslehrern.

Warum wird dem Fach Philosophie in der Antwort auf die Frage 3 ein verfassungsrechtlicher Rang zugeschrieben? Es macht ja gerade die besondere Stellung des Religionsunterrichtes aus, dass er als einziges Schulfach nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes Verfassungsrang hat.

Das Katholische Büro Kiel meldet völlig andere Zahlen zu den kirchlich gestellten Lehrkräften und zur Pauschale für die Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes als das Ministerium. Im Schuljahr 2006/07 standen für das Fach katholischer Religionsunterricht 68 kirchlich gestellte Lehrkräfte zur Verfügung. Zusammen mit den insgesamt 207 Lehrkräften im Landesdienst wären das insgesamt 275 Lehrkräfte und nicht 337 wie angegeben.
Das Erzbistum Hamburg erhält seit dem Jahr 2006 eine Pauschale für die Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes in Höhe von jährlich 1.188.500 Euro, das Ministerium meldet dagegen die Summe von 1.607.750 Euro.

Die Beantwortung der Fragen im Blick auf den Religionsunterrichtes an Beruflichen Schulen ist unbefriedigend. Zahlen und Fakten gibt das Ministerium im Themenblock „Berufliche Schulen“ nur für die Beruflichen Gymnasien an, dass heißt konkret für nur ca. 10% aller Schülerinnen und Schüler. Dagegen fanden sich in der Beantwortung der Großen Anfrage von 2003 zu allen Formen der Beruflichen Schulen differenzierte Zahlenangaben.

Aus diesen und vielen weiteren Beispielen ergibt sich viel Informations- und Aufklärungsbedarf. Dazu gehört schlussendlich auch die Frage, inwieweit die Vereinbarungen in Staatskirchenvertrag zu diesem Themenkomplex erfüllt werden.
Vor diesem Hintergrund – und angesichts der Tatsache, dass interessante Ergebnisse aus einer Umfrage der NEK und des Religionslehrerverbandes Ende 2007/Anfang 2008 auf dem Tisch liegen werden – beantrage ich nicht nur die Überweisung in den Bildungsausschuss. Ich bitte vielmehr schon heute darum, dass wir Anfang 2008 eine Anhörung zur Großen Anfrage durchführen werden. Dabei sollten insbesondere die NEK, die Katholische Kirche und der Religionslehrerverband sowie weitere Religionsgemeinschaften angehört werden.
Ich freue mich auf diese weiteren Beratungen und setze auf tatkräftige Unterstützung bei der Stärkung des Religionsunterrichtes an unseren Schulen in Schleswig-Holstein.

Sie haben Fragen zu diesem Artikel? Sprechen Sie uns an:

Pressesprecher
Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel
Telefon: 0431/988-1440

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