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zu TOP 16: Auf der einen Seite steht der Datenschutz, auf der anderen der Opferschutz und in der Mitte die Frage nach einem Kompromiss
Es gilt das gesprochene Wort
Sperrfrist Redebeginn
Die Frage der Vorratsdatenspeicherung ist eine Thematik, die man nicht auf wenige Schlagworte reduzieren kann. Es geht um politische Grundüberzeugungen und Gewichtungen. Dabei ist es überhaupt kein Geheimnis, dass es zwischen den Parteien unterschiedliche Auffassungen gibt, auch zwischen CDU und FDP. In der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung geht es aber nicht darum, dass die einen die Freunde der Bürgerrechte und die anderen die Feinde sind. So setzen sich zumindest CDU und FDP nicht auseinander. Schwarz-Weiß-Malerei greift bei diesen wichtigen Fragen zu kurz.
Wir alle wissen, dass die Erhebung von Vorratsdaten ein Eingriff in Bürgerrechte ist. Wir alle müssen aber auch akzeptieren, dass es ebenfalls einen Eingriff in die Bürgerrechte darstellt, wenn der Staat neue oder alte Begehungsformen von Straftaten zunehmend nicht mehr aufklären und verhindern kann, weil die Strafverfolgung mit der Entwicklung der neuen Medien nicht Schritt hält. Hier geht es um den unmittelbaren Zweck, warum wir uns überhaupt staatliche Strukturen leisten. Nämlich um die Einhaltung des Rechts zu gewährleisten und die Begehung und schweren Folgen von Straftaten möglichst zu verhindern.
Die Grundkonstellation bei der Erhebung von Vorratsdaten ist, dass man mit der Erhebung dieser Daten sehr viele potentiell Betroffene erfasst. Unterlässt man hingegen die Erhebung von Vorratsdaten, so handelt es sich bei den Opfern unaufgeklärter Straftaten um weniger Betroffene. Unterschiedlich sind aber die Folgen. Die Folgen einer unaufgeklärten Straftat haben für die Opfer ein anderes Gewicht als die Speicherung von Daten. Auf der Seite der Vorratsdatenspeicherung stehen viele, aber dafür leichtere oder leichte Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auf der Seite der fehlenden Strafverfolgung stehen demgegenüber Betroffene, deren Fälle durch Härte, durch fehlende Wiedergutmachung, fehlende Gerechtigkeit und fehlenden Strafrechtsschutz geprägt sind.
Das ist das Dilemma, vor dem man in dieser Diskussion steht. Auf der einen Seite steht der Datenschutz, auf der anderen der Opferschutz und in der Mitte die Frage nach einem Kompromiss. Der muss politisch entschieden werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Korridor aufgewiesen, in dem eine Nutzung von Vorratsdaten möglich ist. Der Zugriff soll auf schwere Fälle beschränkt sein und ein Datenmissbrauch muss möglichst verhindert werden. Es ist eine reine Frage der Einschätzung des Gesetzgebers, wie genau er hier seine Gewichtung trifft.
Weder darf man gering schätzen, dass sich die Menschen bei der Erhebung ihrer persönlichen Daten unwohl fühlen, und dass den Staat auch nicht alles etwas angeht. Ebenfalls darf man aber nicht gering schätzen, dass praktisch alle in der Strafverfolgung Tätigen bereits heute angeben, dass ihnen für die Verfolgung von Internetkriminalität effektive Mittel fehlen. Nur einige Zahlen: seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verliefen nach einer sechsmonatigen bundesweiten Erhebung durch das Bundeskriminalamt 75 % aller Auskunftsersuchen erfolglos, mittlerweile ist der Anteil noch weiter gestiegen. In drei von vier Fällen ging es um den Deliktsbereich kinderpornografischer Schriften. Weitere wichtige Deliktsfelder sind der Betrug und Computerbetrug. Hier sind Grauzonen entstanden, in denen der Staat seine Bürger schlicht nicht mehr ausreichend schützen kann. Auch das sog. „Quick-Freeze-Verfahren“ reicht nicht in allen Fällen aus – denn für die Vergangenheit gerichtete Verbrechensaufklärung ergeben sich auch hier Lücken.
Die Bekämpfung von Kriminalität hat in Umfragen bei Bürgern mit den höchsten Stellenwert – auch dies sollten wir nicht außer Acht lassen.
Insgesamt haben sowohl Gegner wie auch Befürworter der Vorratsdatenspeicherung ein Interesse am Schutz der Grundrechte. Keinem fehlt es an guten Gründen. Sachlichkeit in der Diskussion ist angezeigt. Unsachlich ist es aber, wenn beispielsweise in einer Pressemitteilung der Grünen von 20. Januar 2011 dem Innenminister vorgeworfen wird, er reite „die nächste Attacke gegen die Bürgerrechte“, weil er sich für die Vorratsdatenspeicherung eingesetzt hat. Wer eine solche Rhetorik gebraucht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Bilder in schwarz und weiß zu zeichnen. Die Erwartung, dass wir hier auf Landesebene über ein bundespolitisches Thema im Streit zerfallen, wird sich als unbegründet erweisen.
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Max Schmachtenberg
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