| Nr. 514/13
zu TOP 11 : Die rot/grün/blaue Reform geht zu Lasten der Qualität an unseren Schulen
Es gilt das gesprochene Wort
Mit dem vorliegenden Entwurf für ein neues Schulgesetz setzt die Koalition eins zu eins ihren Koalitionsvertrag um. Er ist geprägt von dem kuschelpädagogischen Ansatz. Wenn wir alles in einen Topf werfen, dann wird die Suppe schon schmecken. Aus den Bildungs- und Erziehungszielen werden pädagogische Ziele. Daran kann man schon sehen, dass Sie die Bildungs- und Erziehungsleistungen in den Schulen nicht mehr so ernst nehmen wollen. Das Argument, die Begriffe Bildung und Erziehung seien nicht mehr modern, halte ich sogar für gesellschaftlich nicht haltbar. Gerade in einer Zeit, in der wir zunehmend die Kompetenzen, mit denen die Kinder in die Schule kommen, hinterfragen müssen, müssen der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen die Grundlage für die pädagogische Arbeit sein. Sie zu pädagogischen Zielen zu degradieren, ist das falsche Zeichen.
Aber vielleicht steckt ja auch System hinter den pädagogischen Zielen. Zukünftig sollen die Schulen in ihrer pädagogischen Vielfalt eingeschränkt werden. Das starre Korsett des so genannten längeren gemeinsamen Lernens wird jetzt über sie gestülpt. Dann ist Schluss mit pädagogischen Konzepten an den Schulen, die sich auf die individuellen Talente und Bedürfnisse eingestellt haben. Dann ist Schluss mit pädagogischen Konzepten, die den leistungsstarken Schülerinnen und Schülern in entsprechenden Kursangeboten und abschlussbezogenen Klassen auch den entsprechenden Unterricht anbieten konnten. Dann ist Schluss mit dem praxisbezogenen Unterricht, der sich auf die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schüler konzentrieren kann, die einen Hauptschulabschluss erwerben und anschließend einen Ausbildungsplatz im Handwerk anstreben wollen. Das alles soll es nicht mehr geben. Dafür sollen Gymnasiasten, Realschüler, Hauptschüler und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf alle gemeinsam in einem Klassenverband unterrichtet werden. Die Abiturquote wollen Sie damit erhöhen. Die Schülerinnen und Schüler, die kein Abitur machen, finden in Ihrer Bildungspolitik überhaupt nicht mehr statt.
Stattdessen vermitteln Sie den Eindruck, dass nur die Schülerinnen und Schüler mit einem Abitur positive Zukunftsperspektiven haben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass alle anderen in Ihren Augen Bildungsverlierer seien. Und das sind sie mitnichten. Diese jungen Menschen sind die Garanten für Wachstum in Schleswig-Holstein. Wir brauchen nicht nur Häuptlinge, sondern auch Indianer.
Die Qualität von Schule lässt sich aber nicht an der Quantität der Abiturprüfungen messen. Das hat übrigens das Ergebnis der KESS-Studie bei unseren Nachbarn in Hamburg gezeigt. Gerade die Ergebnisse der Stadtteilschulen sollten uns mit Sorge erfüllen. Die Schülerinnen und Schüler lagen in ihren Leistungen bis zu drei Jahren hinter den Schülerinnen und Schülern der Gymnasien zurück. Dabei ist deutlich herausgekommen, dass die Ursache nicht die Oberstufen an sich sind. Die Kinder wurden in der Mittelstufe nicht ausreichend auf die Oberstufe vorbereitet und konnten dort ihre Defizite nicht mehr ausgleichen. Das ist in Hamburg der Preis für eine 64 %ige Abiturquote. Ein Zweiklassenabitur! Die Gefahr, dass Ihre Planungen mit der Abschaffung von abschlussbezogenen Klassen und der Einrichtung der zusätzlichen Kleinstoberstufen zu den gleichen Ergebnissen auch in Schleswig-Holstein führen, ist groß. Stattdessen sollten Sie auf pädagogische Vielfalt setzen. Auf die Kooperation von Oberstufen an Gymnasien und beruflichen Gymnasien mit der Sekundarstufe I und die Qualitätssicherung und –entwicklung von Unterricht. Was ist mit der internen und externen Evaluation von Schule? Davon findet sich nichts im Gesetzentwurf.
Genauso wenig findet sich in Ihrem Entwurf nichts zur Flexibilisierung des Einschulalters. Die Anhörung im Bildungsausschuss hat sehr deutlich gemacht, dass eine Zurückstellung in Einzelfällen möglich sein sollte. Wenn Ärzte, Therapeuten, Pädagogen und Eltern erhebliche und begründete Zweifel daran haben, dass ein Kind den Schulbesuch aufnehmen kann, dann können wir uns diesem Expertenvotum doch nicht verschließen.
Sie wollen die Regionalschulen komplett abschaffen. Dabei gehen Sie ziemlich schonungslos mit den Schulstandorten um. Regionalschulstandorte, die weniger als 240 Schülerinnen und Schüler haben, sollen bereits im nächsten Schuljahr nicht mehr einschulen dürfen. Das gilt nur für Regionalschulen. Was ist aber mit Gemeinschaftsschulstandorten mit unter 240 Schülerinnen und Schülern? Davon, dass auch diese Standorte nicht mehr einschulen dürfen, steht nichts in Ihrem Entwurf. So sollten Sie nicht mit den Schulträgern umgehen. Hier kann nur gleiches Recht für alle gelten. Regionalschulstandorte dürfen hier nicht schlechter gestellt werden als die Gemeinschaftsschulstandorte.
Und wenn Sie schon den Regionalschulen den Garaus machen wollen, dann lassen Sie doch den Schulträgern wenigstens die Chance, sich mit den benachbarten Schulen zusammenzuschließen und entsprechende Konzepte zu erarbeiten. Diesen Zeitdruck, den Sie hier aufbauen, erweckt den Eindruck, als hätten Sie ein Interesse daran, insbesondere Schulstandorte im ländlichen Raum zu schließen. Die Zusammenführung von Regional- und Gemeinschaftsschulen zu einer weiteren Säule neben dem Gymnasium ist ja richtig, aber doch nicht zu Lasten der Schulstandorte und der pädagogischen Vielfalt. Warum können Sie eigentlich nicht den Regionalschulen, die gerne eine bleiben wollen, den gleichen Bestandsschutz gewähren, den Sie den G 9- und den GY-Gymnasien zugestehen? Auch hier sollte gleiches Recht für alle gelten.
Die Wahlfreiheit der Gymnasien zwischen dem acht- und dem neunjährigen Bildungsgang schaffen Sie ab. Sie wollen am liebsten nur noch den achtjährigen Bildungsgang. Und die Ministerin hat zugesagt, dass es weitere Maßnahmen zur Erleichterung von G 8 geben soll. Jetzt liegt der Gesetzentwurf vor, aber weitere Maßnahmen zur Erleichterung finden sich dort nicht. Sie haben doch den Bildungsdialog geführt. Gab es denn da keine Anregungen? Solange sich die KMK nicht auf ein gemeinsames Vorgehen der Bundesländer verständigen kann, sollten wir den Gymnasien die Wahlfreiheit zwischen beiden Bildungsgängen geben. Das ist im Sinne der Schülerinnen und Schüler und im Sinne der unterrichtenden Lehrkräfte. Man sollte auch immer die örtlichen Gegebenheiten im Blick haben. Fahrzeiten beispielsweise sind an einem ländlichen Gymnasium sicherlich anders zu bewerten als an einem städtischen.
Die Durchlässigkeit zwischen Gemeinschaftsschulen und Gymnasien schaffen Sie ab. Kinder, die einmal an einer Schule unterrichtet werden, sollen kaum noch eine Wechselmöglichkeit haben. Wollen Sie ernsthaft Kinder über Jahre hinweg an einem Gymnasium halten, auch wenn klar ist, dass das die falsche Schule für dieses Kind ist? Ich kann nicht begreifen, warum diese Kinder ab der 7. Klasse nicht mehr an die Gemeinschaftsschule wechseln können sollen? Aber genau so auch umgekehrt. Warum soll denn ein Kind, das sich gut entwickelt und an einem Gymnasium entsprechend seinen Leistungen besser gefördert werden könnte, nicht auch an ein Gymnasium wechseln? Bisher war es immer eine Betrachtung vom Kind her, wenn es zu einem Wechsel kam und das muss es auch in Zukunft so bleiben. Durchlässigkeit zwischen den Schularten fördert die individuellen Bildungschancen.
Längeres gemeinsames Lernen, mehr Inklusion, 20 neue Oberstufen, dass alles wollen Sie in Schleswig-Holstein umsetzen. Dafür braucht es aber auch die passenden Rahmenbedingungen.
Für die Inklusion brauchen wir motivierte Lehrkräfte. Aus der Großen Anfrage der Piraten, die wir gleich noch erörtern, geht hervor, dass weder 2012 noch 2013 Sonderpädagogen unbefristet eingestellt wurden. Wie passt das zu Ihren Ansprüchen?
Frau Wende hat im letzten Jahr ein strukturelles Defizit von 1250 Planstellen an unseren Schulen festgestellt. Die geplanten 20 Oberstufen werden einen weiteren Bedarf an Planstellen auslösen. Nach den Angaben des Ministeriums werden das mindestens 200 Stellen sein. Die Umwandlung der Regionalschulen in Gemeinschaftsschulen wird einen weiteren Bedarf für die erhöhte Anzahl der Differenzierungsstunden und die Anpassung der Stundentafel auslösen. Legt man den Bericht zur Unterrichtsversorgung 2012/13 zugrunde, dann sind das mindestens weitere 250 Planstellen. Und die GEW hat uns ins Stammbuch geschrieben, dass für die Umsetzung der Inklusion in Schleswig-Holstein 1000 Planstellen zusätzlich benötigt werden. Damit, sehr geehrte Frau Ministerin, weiten Sie Ihr ausgewiesenes, strukturelles Defizit von 1250 Stellen auf 2650 Stellen aus. Ungehindert davon sehen Sie die Streichung von 1370 Planstellen bis 2017 vor. Sie fahren also das System Schule sehenden Auges an die Wand. Sie verlangen immer mehr, aber geben keine Ressourcen dafür ins System.
Ich will es klar benennen. Auch wir hatten einen Stellenabbauplan. Aber wir haben keine Bildungspolitik gemacht, die immer weitere Planstellenbedarfe auslöst. In dem vorliegenden Gesetzentwurf streiten Sie sogar ab, dass er weitere Kosten auslöst, da die Stärkung des „Gemeinsamen Lernen“ bereits im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel erfolgt.
Ihre Bildungspolitik geht zu Lasten der Qualität unserer Schulen. Sie tragen Ihre ideologischen Spielchen auf dem Rücken der Schulen, der Lehrkräfte und nicht zuletzt auf dem der Kinder aus. Wir brauchen aber ein leistungsfähiges Schulsystem, das sich nicht an einer Ideologie orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler selbst.
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Max Schmachtenberg
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