Kindeswohl | | Nr. 175/21
TOP 45: Gewalt hat viele Gesichter! Schule kann vorbeugend wirken
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sexueller Missbrauch oder sexuelle Gewalt an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei seine beziehungsweise ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Das ist eine sozialwissenschaftliche Definition von der Website des Unabhängigen Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das klingt abstrakt. Deutlicher wird die Dramatik dieses Themas, wenn man Stimmen von Betroffenen zu Wort kommen lässt.
Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: „Ich hatte keinen Schutz mehr, denn der, von dem ich Geborgenheit erhoffte, mein Vater, der kam nachts und missbrauchte mich. Als ich es Oma einmal erzählte und sie meinen Vater ansprach, da tyrannisierte er für einige Zeit die ganze Familie, vor allem meine behinderte Schwester. Mir drohte er, dass er sich umbrächte und ich dann ins Heim käme.”
Dieser kurze Eindruck schildert mit vielen Aspekten das Leid und die Wehrlosigkeit von Opfern sexualisierter Gewalt, erst Recht, wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt. Sexualisierte Gewalt findet oft im privatesten Umfeld statt. Sie geht von unmittelbaren Vertrauenspersonen, der eigenen Familie, dem Onkel, der Schwester oder sogar von den eigenen Eltern aus. Sexualisierte Gewalt steht oft in dem unmittelbaren Zusammenhang mit Macht des Täters und der Wehrlosigkeit des Opfers. Gerade das macht es schwer, Fälle zu erkennen, aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Wir haben uns hier im schleswig-holsteinischen Landtag in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und gerade das Handlungsfeld Schule in den Fokus genommen. Alle Kinder und Jugendliche besuchen eine Schule, deshalb ist es hier besonders sinnvoll, anzusetzen. Und uns geht es darum, dass zu etablieren, was in Kindertagesstätten schon Pflicht und selbstverständlich ist, ein Schutzkonzept zum Schutz vor Gewalt.
Dabei ist uns klar und das haben wir auch in der Anhörung deutlich herausgearbeitet: Gewalt hat viele Gesichter! Und es kann nicht allein um sexualisierte Gewalt gehen. Gewalt gibt es in der Familie, gibt es in Institutionen oder aber auch unter Kindern und Jugendlichen. Gewalt ist körperlich, aber auch seelisch und findet über unterschiedliche Wege statt. Gerade digitale Wege, wie das Verschicken von herabwürdigen Videos über soziale Netzwerke, sind ein relativ neues Phänomen, das aber immer häufiger unter Kindern und Jugendlichen zu beobachten ist. Gewalt ist also vielfältig.
Mit unserem Antrag zeigen wir konkrete Maßnahmen auf, die wir ergreifen wollen. Dafür haben wir auch schon Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Wir wollen Prävention, Beratung und Intervention intensivieren. Wir wollen einen Fachtag zum Themenkomplex Gewalt. Wir wollen einen Handlungsleitfaden mit vielen Partnern bis Ende 2021 finalisieren. Wir wollen an die Fort- und Weiterbildung ran. Und wir wollen mittelfristig strukturelle Schutzkonzepte an allen Schulen etablieren. Dafür werden wir jetzt auch schon tätig und haben einen konkreten Vorschlag für das Schulgesetz unterbreitet. Mit dem wir für alle Schulen ein Präventions- und Interventionskonzept zu strukturellen Maßnahmen zum Umgang mit drohender und bestehender Gefährdung des Kindeswohls verpflichtend machen werden. Eine lange Forderung des Kinderschutzbunds, von Petze e.V. und anderen, die wir nun umsetzen.
Dieser Beschluss ist ein großer Beitrag, um Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt aber auch anderen Gewaltformen zu schützen. Und ich freue mich persönlich sehr, weil es für mich ein wirklich wichtiges Thema ist, dass wir mit der Befassung im Ausschuss einen Weg gefunden haben, das gemeinsam heute hier im Landtag zu beschließen.
Denn kein Kind darf körperliche und psychische Gewalt erleiden und kein Kind darf missbraucht werden! In der Schule verbringen unsere Kinder viel Zeit. Hier haben wir es in der Hand, einen wichtigen und konkreten Beitrag zur Prävention, Beratung und Intervention gegen Gewalt zu leisten. Heute wollen wir das Thema gemeinsam angehen. Die Betroffenen brauchen unsere Hilfe!
Danke für die Aufmerksamkeit.
Sie haben Fragen zu diesem Artikel? Sprechen Sie uns an:
Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel