1700 Jahre jüdisches Leben in SH | | Nr. 117/21
TOP 13: Wir feiern 1700 Jahre jüdisches Leben
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein gehört zu unserer Vergangenheit, unserer Gegenwart und unserer Zukunft – und das ist auch gut so! Gerade weil jüdisches Leben in der Vergangenheit oftmals nur als Ausgrenzungen verstanden wurde, sind das Festjahr 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und auch der Staatsvertrag, den die Landesregierung im Jahr 2018 mit den jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein geschlossen hat, so wichtige Signale. Sie zeigen, dass es im Heute und Jetzt ein vitales jüdisches Leben mitten unter uns gibt und dass sich das Land Schleswig-Holstein und die jüdischen Gemeinden auf einen Weg in eine gemeinsame Zukunft machen.
Natürlich: Die singulären Gräueltaten der Nationalsozialisten stechen aus der Menschheitsgeschichte heraus. Das, was Jüdinnen und Juden in Deutschland erlitten haben, muss immer wieder erinnert werden.
Aber das Judentum hatte vor den Nazis eine lebendige Geschichte und hat unser Land seit der Römerzeit mitgeprägt. Für die selbstverständliche Alltäglichkeit des Judentums und für die Schrecken, die Menschen jüdischen Glaubens erleben mussten, stehen die bekannten bronzenen Stolpersteine. Einer der Namen auf den Stolpersteinen ist Wolff Willy Hirsch aus Kiel. Hirsch hat als Soldat im Ersten Weltkrieg gedient. Wie unzählige andere Juden hat er „Für Kaiser, Reich und Vaterland“ gekämpft, wie es Michael Berger, Hauptmann der Bundeswehr und Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten in seinem gleichnamigen Buch schreibt. Wolff Hirsch aus Kiel kämpfte Seite an Seite mit den Männern, die zwanzig Jahre später ihn und seine Familie ermorden sollten. Das zeigt uns nochmal die ganze besondere Widersprüchlichkeit und Tragik des Antisemitismus in Deutschland.
Auch einer der genialsten Physiker aller Zeiten steht sinnbildlich für diesen Widerspruch: Albert Einstein segelte wenige Meter von hier entfernt auf der Förde. Er war Kiel in vielfacher Weise verbunden. Als Patentgutachter hat er an der Perfektionierung des Kreiselkompasses mitgearbeitet und wurde Geschäftspartner von Anschütz. Auf der Kieler Förde entdeckte Einstein seine lebenslange Liebe zum Segeln. Aber – und das zeigt uns auch wieder die Zwiespältigkeit deutsch-jüdischer Vergangenheit – das Verhältnis des großen Physikers zur Christian-Albrechts-Universität war sehr distanziert. Die Kieler Uni war ein Hort antisemitischer Polemik und wollte seine Forschung nicht anerkennen. Einstein musste nach der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland fliehen. Damit steht er als Sinnbild für den gewaltigen intellektuellen Verlust, den Deutschland durch die Ermordung und Vertreibung der Juden erlitt, aber eben auch für die großen Leistungen, die Menschen jüdischer Herkunft der Menschheit gebracht haben.
Also: Das Judentum in Deutschland und in Schleswig-Holstein hat Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Daher bin ich der Landesregierung dankbar für das Programm, dass sie anlässlich des Festjahres 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland auf die Beine gestellt hat. Das Programm ist vielfältig und konzentriert sich auf die unterschiedlichsten Aspekte. Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, regionale und sogar übergreifende Themen sind eingeschlossen. Mit „Shalom&moin“ ist eine „Dachmarke“ gefunden, von der ich hoffe, dass sie auch in der Zukunft Bestand haben wird.
Damit machen wir in Schleswig-Holstein deutlich, dass es Antisemitismus hier nicht geben darf und Juden in unsere Mitte gehören. Deswegen wollen wir auch einen Runden Tisch zusammen mit dem Landtag, dem Landesbeauftragten für das jüdische Leben und den jüdischen Landesverbänden einrichten und darüber sprechen, was Menschen jüdischen Lebens auch im Heute bewegt.
Jüdinnen und Juden haben ein Zuhause in Schleswig-Holstein. Zusammen mit dem Thema „Rassismus“ machen wir heute im Landtag auch deutlich, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen, und dass wir uns auch in schwierigen Zeiten nicht spalten lassen. Es liegt an uns, dass das auch so bleibt. Ich sehe mit Hoffnung in eine Zukunft, die nicht nur von Vielfalt und Miteinander und Zusammenhalt, sondern auch vom jüdischen Leben in Schleswig-Holstein geprägt ist.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel