| Nr. 060/08
Die Lehren aus Weimar nicht völlig vergessen
Sperrfrist: Redebeginn.
Es gilt das gesprochene Wort.
Wir akzeptieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ohne Wenn und Aber. Deshalb wollen wir angesichts der hohen Bedeutung des Urteils für unsere Demokratie die 5-Prozent-Klausel im Gemeinde- und Kreiswahlgesetz auch noch rechtzeitig zur Kommunalwahl abschaffen, damit die Bürgerinnen und Bürger des Landes wissen, was ihre Stimme wert ist.
Im Parlament ist die Debatte über die Vereinbarkeit der Sperrklausel mit der Verfassung bereits ausgiebig und mit aus meiner Sicht nachvollziehbaren Argumenten von beiden Seiten geführt worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun eindeutig entschieden, dass die Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien verstößt. Diese Eingriffe – so führt das Gericht in seinen Urteilsgründen aus – sind nicht gerechtfertigt, da hinreichende Gründe für die Beibehaltung der 5-Prozent-Klausel, insbesondere zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen, nicht ersichtlich sind.
Die Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht besteht seit Inkrafttreten des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes am 1. April 1959. Dies hatte einen guten Grund: Sie diente der Vermeidung von Splittergruppierungen in den kommunalen Vertretungen. Anders als heute wurden die Bürgermeister und Landräte damals noch indirekt durch die Vertretungen gewählt.
Unsere Verfassung verpflichtet den Gesetzgeber, Sperrklauseln unter Kontrolle zu halten, so auch der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, und die Voraussetzungen für ihren Erlass bei neuen Entwicklungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern.
Der Zweite Senat hat in seinem Urteil auch betont, dass eine Wahlrechtsbestimmung in einem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein kann und in einem anderen Staat oder zu einem anderen Zeitpunkt nicht.
Deswegen teile ich nicht die Auffassungen der Kollegen von der FDP-Fraktion und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass die Unvereinbarkeit der 5-Prozent-Klausel mit rechtsstaatlichen Grundsätzen seit jeher klar war.
Festgestellt werden muss:
mit der Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten im Jahr 1995 haben sich die für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Sperrklausel maßgeblichen Umstände geändert.
Mit der Einführung der Direktwahl ist von den Gemeindevertretungen und von den Kreistagen die wichtige Personalentscheidung den Wählern übertragen worden. Zugleich steht den Vertretungen eine Verwaltungsspitze mit erheblich gestärkter unmittelbarer Legitimation gegenüber.
Damit ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts das zentrale Element zur Rechtfertigung der Sperrklausel im Kommunalwahlrecht weggefallen, da stabile Mehrheitsverhältnisse aufgrund der Direktwahlen nicht mehr notwenig seien.
Ich möchte aber bekräftigen, dass die CDU-Landtagsfraktion weiterhin an der Erforderlichkeit der 5-Prozentklausel für Bundestags- und Landtagswahlen festhält. Sie ist weder durch das Verfassungsgericht noch durch maßgebende Stimmen der Fachwelt infrage gestellt.
Denn bei gesetzgebenden Körperschaften sind klare Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung unentbehrlich.
Gerade jetzt, wo wir uns auf ein 5-Parteien-System einrichten (in SH womöglich auf 6 im Parlament vertretene Parteien), gilt es die Lehren aus Weimar nicht völlig zu vergessen.
Die Einführung der 5-Prozent-Sperrklausel in die deutschen Wahlgesetze beruht auf den negativen Erfahrungen aus der Weimarer Republik: als ein zersplittertes Parteienspektrum das Parlament immer wieder blockierte.
Gemeindevertretungen und Kreistage üben dagegen keine Gesetzgebungstätigkeit, sondern primär verwaltende Tätigkeiten aus.
Zwar wird es eine faktische Sperrklausel geben.
Ich habe aber trotzdem ein wenig Bauchschmerzen, ob wir es schaffen werden, Mandatsträger von links als auch möglicherweise von Rechtsextremen aus den kommunalen Vertretungen herauszuhalten.
Damit müssen wir, indem wir als demokratische Parteien intensiver um Wähler werben, nach dem Richterspruch fertig werden. Ich traue den großen Volksparteien aber ohne weiteres zu, dass sie auch auf kommunaler Ebene stabile Mehrheiten bilden können.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel