Hochschule | | Nr. 443/19
Professur "Purale Ökonomik" steht Schleswig-Holstein gut zu Gesicht
Sehr geehrter Herr Präsident,
es war im Jahr 2008, als Queen Elizabeth II. die London School of Economics besuchte und einen Vortrag über die Finanzkrise lauschte. Am Ende des Vortrages stellte Sie die Frage aller Fragen, nämlich warum keiner der anwesenden Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Finanzkrise vorhergesehen habe. Zerknirscht, so ist die Überlieferung, mussten die renommierten Professorinnen und Professoren einräumen, dass es ein Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler kluger Menschen gegeben habe.
Doch was folgte aus diesem Eingeständnis? Haben sich Forschung und Lehre in den Wirtschaftswissenschaften nachhaltig verändert, oder wird an den traditionellen Denkweisen weiter festgehalten? Findet eine intensive ethische Reflexion in den Wirtschaftswissenschaften eigentlich statt? Mein Eindruck ist, dass diese gegenwärtig nicht ausreichend der Fall ist: Wirtschaftsethik ist in der Regel nicht Teil der ökonomischen Ausbildung oder nur ein Randthema, und auch in der Forschung erfolgt eine ethische Reflexion nur in Ausnahmefällen. Auch zu meiner Studienzeit an der CAU waren Bereiche wie Wirtschaftsethik in der Volkswirtschaftslehre noch kein Thema. Heute ist zumindest eine Lehrveranstaltung hierzu Pflicht.
Spätestens seit der Frage der Queen wird die Kritik an den Wirtschaftswissenschaften und deren klassischen Antworten auf ökonomische Probleme immer größer. Die Wirtschaftswissenschaften seien zu realitätsfern, zu marktgläubig und zu einseitig. Statt sich für andere Denkschulen zu öffnen oder sich mit anderen Disziplinen wie Politik, Jura, Soziologie, Philosophie, Psychologie auseinanderzusetzen und sich auszutauschen, wurde über Jahrzehnte versucht, mit Hilfe von immer komplexeren mathematischen Modellen die Realität mehr oder minder gut abzubilden. Dazu bediente man sich den Homo oeconomicus. Dieses stets vollkommen informierte, rational handelnde und auf die Mehrung seines Nutzens bedachte Wesen, welches nur leider in Realität in dieser Form nicht anzutreffen ist. Natürlich ist es auch nicht der Anspruch der klassischen Wirtschaftswissenschaften die Realität in ihrer Komplexität eins zu eins abzubilden, dennoch nahm und nimmt man für sich gerne in Anspruch eine mathematisch-exakte Naturwissenschaft zu sein. Aber mittlerweile wissen wir, dass dieses eben nicht der Fall ist, sondern dass wirtschaftliches Handeln durchaus irrational sein kann und eben nicht Naturgesetzen folgt. Selbst renommierte Wirtschaftswissenschaftler wie etwa der Träger des Weltwirtschaftlichen Preises Paul Krugman gingen mit ihrer Disziplin hart ins Gericht. 2009 formulierte er in der New York Times: Die ökonomische Disziplin habe sich verrannt, da Ökonomen im Kollektiv die Schönheit und die Präzision eindrucksvoller Mathematik mit der Wahrheit verwechselt hätten.
Was folgt nun daraus, meine Damen und Herren? Sicherlich sind die traditionellen volkswirtschaftlichen Modelle nicht falsch und mit ihnen können viele ökonomische Geschehnisse gut erklärt und Vorhersagen getroffen werden, aber sie stoßen auch schnell an ihre Grenzen. Und eben hier macht es Sinn, die traditionellen Ansätze, um eine Plurale Ökonomik zu ergänzen.
Die Plurale Ökonomik als neue Denkschule bietet die Möglichkeit den Blickwinkel der Wirtschaftswissenschaften sinnvoll zu erweitern und eben nicht einseitig auf Gesellschaft und Wirtschaft zu blicken sondern einen intensiven Austausch der vielen verschiedener ökonomischen Theorien und Ansätze auf Augenhöhe zu suchen. Dies ist ein hoch interessanter Ansatz, der auch große Chancen für unsere Universitäten in Schleswig-Holstein bieten kann.
Wir haben als Koalition diesen Umstand erkannt und haben eine entsprechende Formulierung in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Wir wünschen uns, dass die zukünftige Professur für Plurale Ökonomik sich kritisch mit den bisherigen Theorien der Volkswirtschaftslehre auseinandersetzt und bitten die Landesregierung hier tätig zu werden.
Aufmerksamen Abgeordneten wird es sicherlich schon aufgefallen sein, dass die Plurale Ökonomik nicht Bestandteil der aktuellen Zielvereinbarungen geworden ist. Dies ist bedauerlich, denn es hätte sich für die Universitäten die Chance geboten, sich diesem innovativen Thema zu öffnen. Das ist bekanntlich jedoch nicht geschehen. Dennoch glaube ich, dass es auch andere Wege gibt, dieses Thema an einer Hochschule im Land zu verankern. Insofern ist es auch eine gute Nachricht, dass die Schleswig-Holsteinischen Universitäten vom aktuellen Tenure-Track Programm des Bundes profitieren und die Europauniversität Flensburg, die Chance ergriffen hat, die Plurale Ökonomik in dieses Programm einzubringen. Ich denke, dies ist auch ein guter Weg, denn im Ergebnis steht diese Professur Schleswig-Holstein gut zu Gesicht.
Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung ermuntern, diesen Weg zu finden und ich bin mir sicher, dass unsere Wissenschaftsministerin diesen Weg finden wird. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
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Max Schmachtenberg
Düsternbrooker Weg 70, Landeshaus, 24105 Kiel